Interview: „Nur eine Vielfalt an Wirkstoffen kann die Pandemie besiegen“

Foto: Nils Müller / Abcalis GmbH

Aufgrund der Corona-Pandemie kann der Hochschulbund seinen Mitgliedern aktuell leider keine Veranstaltungen anbieten. BHB-Mitglied Prof. Stefan Dübel leitet an der TU Braunschweig die Abteilung für Biotechnologie, die sich der Bekämpfung der Pandemie gewidmet hat.

BHB: Herr Professor Dübel, als Sie von dem COVID-19 Virus erfahren haben, was war Ihre Reaktion?


Prof. Stefan Dübel: Die Virologen – und auch ich – rechnen seit Jahren oder sogar Jahrzehnten damit, dass ein Virus auftaucht, das zu einer Pandemie führt. Solch eine Pandemie entsteht in der Regel durch die falsche Behandlung von Tieren. Beispielsweise sprang die Vogelgrippe bei der Massentierhaltung in China auf den Menschen über. Deshalb waren wir nicht komplett überrascht, als es losging.

Die Initiative ergriff bei uns als erster mein Kollege Prof. Michael Hust – und das schon im Februar vor der WHO-Bewertung als Pandemie. Er hatte große Erfahrung bei der Entwicklung von Antikörper-Medikamenten gegen Erkrankungen wie Ebola und begann mit der Entwicklung eines Medikaments gegen das Corona-Virus. Alle bei uns im Labor haben die Wichtigkeit dieses Projekts sehr schnell erkannt und ab da die gesamte Arbeit für die Gegenmittelentwicklung eingesetzt. Ich möchte hier einen großen Dank an mein ganzes Team aussprechen, das aus freien Stücken seit Februar durchgearbeitet hat – lange ohne Urlaub und auch am Wochenende.

Wie sieht Ihre Arbeit gegen das Virus aus?


Wir entwickeln menschliche Antikörper, die zur Heilung von SARS-CoV-2-Infektionen eingesetzt werden können – und wahrscheinlich auch vor einer Infektion schützen können.

Wenn ein Virus in den menschlichen Körper eindringt, bildet dieser in der Regel Antikörper, die zu diesem Virus passen und ihn unschädlich machen. In den Neunzigern habe ich eine Technologie erfunden und diese über viele Jahre in Braunschweig zusammen mit Prof. Hust weiterentwickelt, mit der wir solche menschlichen Antikörper schnell herstellen können.

Dadurch konnten wir innerhalb von vier Wochen spezifische Antikörper finden, die das COVID-19-Virus neutralisieren. Der beste von ihnen wird in unserem Medikament enthalten sein. Da es sich dabei um ein Protein handelt, das üblicherweise vom menschlichen Körper selber produziert wird, ist ein solches Medikament wesentlich verträglicher als ein chemisches Medikament. Außerdem wirkt es sofort nach der Gabe.

Angesichts der von Ihnen geschilderten Aussichten hören Sie diese Frage wahrscheinlich nicht das erste Mal: In welcher Entwicklungsphase befinden Sie sich und wann wird Ihr Medikament voraussichtlich erhältlich sein?


Ja, die Frage erhalte ich verständlicherweise oft. Wie gesagt tun wir was wir können, um so schnell zu sein, wie es geht. Unser gutes Netzwerk in Braunschweig hilft uns dabei: Insbesondere die ausgezeichnete Zusammenarbeit mit dem HZI, der Yumab GmbH und dem Fraunhofer ITEM. Zudem ermöglichten uns das Land Niedersachsen und unsere Braunschweiger Privatinvestoren in Rekordzeit die Gründung der CORAT Therapeutics GmbH.

Trotzdem kann ich keine klare Prognose für die Fertigstellung des Medikaments geben. Nachdem die Wirksamkeit unseres Antikörpers an Zellen nachgewiesen wurde, arbeiten wir nun an den Voraussetzungen für die Herstellung größerer Mengen des Medikaments nach den vorgegebenen Qualitätsstandards. Danach folgen Studien am Menschen, die voraussichtlich Anfang nächsten Jahres beginnen werden.

Das hört sich angesichts der drängenden Probleme durch das Virus vielleicht lang an – aber wir sind so schnell wie nie zuvor. Um ein wirksames und sicheres Medikament zu erhalten, sind bestimmte Testphasen einfach nötig. Die vorgeschriebene Dauer für die Tests wurde bereits von zwei Jahren auf fünf Monate verkürzt. Große Unternehmen können noch mehr Zeit sparen, indem sie die Testphasen unter erheblichem finanziellen Aufwand parallel durchführen. Das ist uns mit den zur Verfügung stehenden Mitteln aber nicht möglich.

In Russland und China werden ja bereits Impfstoffe eingesetzt. Überspitzt gefragt: Brauchen wir dann überhaupt noch Medikamente wie Ihres?


Zunächst zu den genannten Impfstoffen: Wir würden uns extrem freuen, wenn sie wirken. Aber die Impfstoffe hätten noch weitere Testphasen durchlaufen müssen, bevor sie Menschen injiziert werden und diese möglicherweise schädigen. Generell können Impfstoffe alleine keine Lösung bringen:

Impfstoffe führen dazu, dass der Körper selber Antikörper gegen eine Krankheit produzieren kann. Menschen reagieren aber sehr unterschiedlich auf einen bestimmten Impfstoff. Ausgerechnet die SARSCoV2 Risikogruppen sind dafür bekannt, dass Impfungen bei ihnen oft nicht wirken. Impfstoffe heilen zudem keine Kranken: Bis der Körper durch einen Impfstoff genügend Antikörper gebildet hat, dauert es zwei bis drei Wochen. Bis dahin bin ich eventuell schon auf der Intensivstation gelandet.
 Und schließlich mutiert das Virus und Impfstoffe werden gegen neue Viren teilweise wirkungslos.

Unser Medikament ist dagegen höchst verträglich und sollte Erkrankungen direkt heilen können. Es erkennt momentan auch alle bekannten COVID-19-Mutanten, dennoch werden wir noch weitere Wirkstoffe brauchen, um hier breit aufgestellt zu sein.

Mehrere Wirkstoffe sind also wichtig?

Genau, das ist derzeit eine äußerst wichtige Botschaft. Die Politik versteift sich gerade auf den Kauf eines einzigen Impfstoffes für die Bevölkerung. Aber nur eine Vielfalt an Wirkstoffen kann die Pandemie besiegen. Deshalb ist es auch gut, dass derzeit so viele Projekte an Wirkstoffen forschen.

AIDS beispielsweise konnte man nur durch die Kombination von drei Wirkstoffen in den Griff bekommen: Es ist bisher nicht vorgekommen, dass ein HIV-Virus-Stamm durch eine Mutation gegen alle drei Wirkstoffe gleichzeitg resistent wurde. Die Politik müsste ihre Strategie deshalb unbedingt ändern.

Wie bewerten Sie denn die Maßnahmen, die die deutsche Politik bisher gegen die Pandemie unternommen hat?

Ich fand die Maßnahmen sehr gut. Sie haben uns in Deutschland ermöglicht, bei einer sehr großen Bevölkerung mit einer erstaunlich geringen Todeszahl durchzukommen. Bisher haben wir als wirksames Mittel ja nur Abstand und Masken.

Trotzdem hätte die Vorbereitung für einen solchen Fall besser sein können. Dann hätte man schneller und weltweit strukturierter reagieren können. Nach Corona wird das sich das hoffentlich ändern.

Meinen Sie, dass wir irgendwann nicht mehr auf Abstände achten müssen und es wieder Großveranstaltungen gibt?


Ich habe große Zuversicht, dass wir mit den modernen Technologien der Gentechnologie in Rekordzeit wieder von einer solchen Pandemie zur Normalität gelangen werden. Wann das sein wird, kann aber momentan niemand seriös vorhersagen, denn noch verstehen wir vieles bei diesem Virus nicht.

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