„Nach dem Abitur herrschte bei mir große Planlosigkeit, für welchen Studiengang ich mich entscheiden sollte. Trotz vielseitiger Recherche hätte ich keine Entscheidung treffen können, mit der ich mich wohlgefühlt hätte“, erzählt Orientierungsstudentin Meike Knull. Damit ist sie wahrlich nicht alleine: Angesichts von aktuell rund 20.000 Studiengängen und über 300 anerkannten Ausbildungsberufen ist es für junge Menschen nicht einfach, das passende zu finden. Im Ergebnis brechen rund ein Drittel der Bachelorstudierenden ihr Studium ab und müssen sich mühsam neu orientieren.
Das ist nicht nur belastend für die jungen Menschen, sondern auch für die Hochschulen und die Gesellschaft als Ganzes. Die TU Braunschweig entwickelte deshalb auf Initiative der damaligen TU-Vizepräsidentin für Studium und Kooperation Prof. Susanne Robra-Bissantz das Angebot „Orientierungsstudium“. „Das Orientierungsstudium ist für junge Menschen gedacht, die nicht wissen was und ob sie überhaupt studieren sollen. Der klassische O-Studi schwankt zwischen fünf Studiengängen, die er oder sie sehr interessant findet. Damit verbunden ist eine sehr unkonkrete Vorstellung davon, was Studieren bedeutet. Ziel ist es, dass ein O-Studi nach zwei Semestern Orientierungsstudium eine reflektierte, fundierte Studienwahl treffen kann“, erläutert Projektkoordinatorin und Trainerin Susann Heichel.
Seit dem Start im Wintersemester 2018/2019 haben 114 junge Menschen dieses Angebot wahrgenommen. Zwei Drittel kommen mit ihrem Abitur frisch aus der Schule – so wie Meike Knull, die vom Hochschulbund ein Stipendium für ihr O-Studium erhielt. Reine Informationsveranstaltungen helfen den jungen Menschen nach Susann Heichels Erfahrungen kaum weiter: „Bei den Generationen, die gerade hier ankommen, geht es um viel tiefgehendere Fragen: Wer bin ich? Was will ich? Was kann ich? Heute verbringen die Leute viel Zeit im Internet – in sozialen Netzwerken, beim Zocken oder was auch immer. Jungen Menschen fehlen nach meiner Einschätzung dadurch oft das Wissen und die Erfahrung, aus denen sie Rückschlüsse für die Beantwortung dieser Fragen ziehen können. Solche Erfahrungen mache ich eher, wenn ich in anderen Kulturen unterwegs bin oder etwas tue, wo es nicht nur um mich geht, sondern um andere – beispielsweise, indem ich in Vereinen Verantwortung übernehme oder mich ehrenamtlich engagiere.“
Das Orientierungsstudium geht gezielt darauf ein: In einem intensiven Potentialanalyse-Seminar und in Coachinggesprächen erhalten die jungen Menschen die Möglichkeit, sich selber besser kennenzulernen. Darauf aufbauend schnuppern sie intensiv hinein in die Welt des Studiums: Vorlesungen, Seminare verschiedenster Fachrichtungen und sogar ein Praktikum im Biolabor stehen ihnen offen. Wer will, darf bei den regulären Prüfungen mitschreiben, die Mensa besuchen und im Studentenwohnheim wohnen.
Die TU Braunschweig gehört unter den rund 30 Hochschulen, die ein Orientierungsstudium oder etwas Ähnliches anbieten, aktuell zu den dreien, bei denen nicht nur MINT-Studienfächer, sondern auch geisteswissenschaftliche Fachbereiche besucht werden können. Entsprechend nachgefragt ist das Braunschweiger O-Studium in ganz Deutschland.
Damit die O-Studis sich schnell in die Studienwelt hineinfinden, erhalten sie Unterstützung von der Uni-Bibliothek und anderen TU-Abteilungen: Workshops zu Lerntechniken, Selbstmanagement und wissenschaftlichem Arbeiten stehen auf dem Programm. Ein ganzheitlicher Ansatz, der Erfolg hat: „Die meisten gehen hier raus und sind in erster Linie dankbar für diesen Einblick und den Realitätscheck: Die Erwartungen, die sie vorher hatten, abgleichen zu können mit dem, was sie hier wirklich antreffen an Chaos, an Überforderung. Wie funktioniert Lehre? Was soll ich selber können? Wie muss ich lernen, um hier irgendetwas auf die Reihe zu kriegen? Um daraufhin bewusst eine Entscheidung dafür oder dagegen zu treffen. Und viele sagen: Studieren ist genau meins, ich habe mich jetzt für das Fach XY entschieden. In das erste Semester gehen die Studierenden deshalb mit sehr viel Vorerfahrungen und damit verbundener Sicherheit und Stabilität“, berichtet Susann Heichel.
Auch Meike Knull hat ihr Studienfach gefunden: „Mich persönlich haben die Vorlesungen, die Workshops und die Teilnahme an dem Biolaborpraktikum am meisten vorangebracht. All die Erfahrungen geben Klarheit, was einem auch bei intensiver Auseinandersetzung mit dem Studiengang Spaß macht und was man eventuell noch gar nicht bedacht hatte.“